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Auf den Spuren des Spurensuchers
Nachts, wenn alles schläft, streift Dirk Königsfeld – konzentriert
Ausschau haltend – durch die Städte und findet in den Errungenschaften
der Zivilisation die Motive für seine Aufnahmen. Dabei richtet sich seine
Aufmerksamkeit zunächst auf auffällige Lichtquellen, von denen er sich
angezogen fühlt: helle Laternen zur Beleuchtung von Straßen, Fassaden
oder Grünanlagen; nüchterne Neonröhren an Lagerhallen; milchige Lampen in menschenleeren
Innenräumen, deren trüber Schein nach draußen fällt; gleißende Lichter von
Bahnhöfen oder Parkplätzen, die umstehende Gebäude bescheinen und temporär
aufgestellte Scheinwerfer,
die das nächtliche Drehen eines Films oder das Ent-laden eines LKW ermöglichen.
Nur in der Stadt treffen die künstliche Helligkeit und die charakteristischen
Elemente urbaner Ästhetik zusammen, nach deren Synthese Königsfeld auf
der Suche ist. An diesen Stellen platziert er sein Stativ und fotografiert
ohne zusätzliche Beleuchtung und ohne Blitz. Auch wenn es Königsfeld
darum geht, die Abbildungen – zu dieser Zeit an diesem Ort – so real,
wie es die Kamera erlaubt, aufzunehmen, ist er alles andere als ein Dokumentarfotograf,
der die nächtlichen Architekturszenarien sachlich festhält.
Er ist ein Sammler von Typologien, aufgeladen von der Atmosphäre der
Stadt, angefüllt mit der Lebensumwelt des Großstädters.
Die Bilder bleiben dem Betrachter nachhaltig in
Erinnerung, sie vermitteln ihm eine neue Sichtweise
von alltäglichen Eindrücken, wie er sie vom Nachhausegehen im Dunkeln
oder vom Nachtspaziergang durch eine fremde Stadt kennt. Ja, nachdem
er mit Blicken durch diese Fotografien gewandert ist, wird er seinen
Weg durch die nächtlichen Straßen mit Königsfelds Augen gehen und Situationen
und eigentümliche Stimmungen entdecken wollen, die ihm vorher nicht aufgefallen
wären.
Der Reiz und die Anziehungskraft, die die Nacht-aufnahmen ausüben, liegen
im Spannungsfeld zwischen der, durch den Betrachter nachvollziehbaren,
Realität und dem hohen Maß an, vom Künstler bewusst aufgesuchter, Künstlichkeit.
Einerseits wird der fotografierte Ort durch seine Angabe im Titel
überprüfbar gemacht, seine Identität wird also nicht verschleiert oder
zum Mysterium verklärt, andererseits wird er – auch wenn die latente
Unwirklichkeit nicht künstlich hergestellt wird – durch den Bildausschnitt,
die Komposition und die auffällige Farbigkeit stark »inszeniert«. Beim
Betrachter würde sich wohl kaum die gleiche Faszination einstellen, die
er beim Ansehen der Fotoarbeit empfindet, wenn er sich tatsächlich an
den Ort begeben würde. Denn seine durch die Bildmedien konditionierte
Wahrnehmung macht sich, sobald der Ausschnitt erfasst ist, auf die Suche
nach der Story hinter der Bildoberfläche. Wird die friedliche Stimmung
im nächsten Augenblick durch ein unvorhergesehenes schreckliches Ereignis
zerstört? Lauert der Täter schon hinter der Häuserecke? Oder liegt da
im Gebüsch etwa eine Leiche? Die Spannung, die von unserer, in der Aufnahme
erstarrten, eigentlich banalen Realität immer ausgeht, lässt sich nur
selten an den realen, nun wirklich banalen Ort transportieren.
Für Dirk Königsfeld ist die Erzählung unwichtig.
Er denke nicht an Geschichten, wenn er fotografiere, ihm sei jedoch bewusst,
dass sie sich fast unwillkürlich beim Anschauen der Bilder einstellten.
Sein Ideal wäre es, dem Betrachter einen in seinen Dimensionen
klar definierten Raum zu eröffnen, in dem sich dieser auf seine eigene
Weise bewegen könnte.
Die Grenzen zwischen dem realen, physikalischen und dem virtuellen, gedanklichen
Raum, der damit »betreten« wird, sind so gesehen fließend.
Königsfeld selbst bewegt sich auf den Spuren der
Zivilisation, um Strukturen von Wohnen, von Situationen im städtischen
Umfeld zu untersuchen. Die Architektur, die er dabei dokumentiert,
ist keine
die Repräsentationszwecken dient, die Gebäude sind keine Sehenswürdigkeiten,
es ist eine Gebrauchsarchitektur, die in allen Großstädten weltweit
zu
finden ist.
Dabei ist für ihn die Distanz zu seinen Bildern wichtig, er möchte weder
kategorisieren, noch kritisieren, er möchte sich kein Individuum vorstellen,
das hinter der Hauswand lebt oder hinter der Glasfassade arbeitet und
auch nicht dessen Befindlichkeit ausloten.
Er möchte das, was der Mensch – auch wenn
dieser konsequent aus den Aufnahmen verbannt
wird – geschaffen hat, mit Respekt vermitteln.
Fast scheint es, als wolle Königsfeld durch die offensive Schönheit seiner
Fotografien, mit ihrer klassischen Bildaufteilung und mit ihrer ästhetischen
Ausarbeitung, das Augenmerk des Betrachters auf die oft unbeachteten
Details in seinem urbanen Kontext lenken, ihn auffordern, doch auch die
Welt in einem anderen Licht zu entdecken. Auf jeden Fall will Königsfeld
ihn in eine Diskussion über das Licht in der Stadt verwickeln: über die
Helligkeit, die die Stadt erst zur Stadt macht; über die Energie, die
diese Helligkeit ausstrahlt und auslöst; über die Nacht, die durch das
Licht zum Tag wird; über das Fehlen der Dunkelheit.
Das Spektrum des Spurensuchers ist die Urbanität mit all ihren Facetten.
Die Spuren, auf die er dabei stößt – Autos, Bäume, Sträucher, Graffiti
– ziehen sich leitmotivisch durch seine Fotografien, deren kleinster
gemeinsamer Nenner die künstliche Helligkeit in der Nacht im Zusammentreffen
mit den diversesten Formen von Architektur ist und deren höchstes gemeinsames
Ziel darin besteht, in der fotografischen Umsetzung die größtmögliche
Annäherung an die Realität zu erreichen und die subjektive Wirklichkeit
nachvollziehbar zu machen.
Uta Grosenick |